Nach der Landung auf dem Mond – die Einfahrt nach Bonanza: Bereits eine halbe Stunde vor der Landung in der nordchilenischen Minenstadt Calama war das Flugzeug über eine riesige, wellig aufgeworfene Fläche von sandigem Rotbraun geglitten, gesprenkelt von Wolkenfetzen.

Die anschließende Jeepfahrt in das knapp 100 Kilometer entfernte, bereits in präkolumbianischer Zeit existierende San Pedro präsentiert dann die nahezu außerirdisch wirkende Landschaft in Augenhöhe: nunmehr steinig und bläulich-grau, eingerahmt von grüngelb wuchernden Grasbüscheln und den schneebedeckten Andengipfeln ganz weit da hinten am Horizont. Und nirgendwo eine einzige Menschenseele auf der schier endlos scheinenden Ebene, 2500 Meter über dem Meeresspiegel.

Doch dann, ohne Vorankündigung: eine urbane Wüstenoase namens San Pedro de Atacama. Bäume, Wiesen und ein Fluss, Pferde, Lehmhäuschen und Internetcafés, Ponchos über den Schultern von Einheimischen und rastazöpfigen Reisenden.

Alsdann ein schmaler, aus dem Städtchen wieder herausführender Kieselweg, linker Hand eine Hacienda mit sperrangelweit offen stehenden Torflügeln, einem gepflasterten Innenhof mit Pferdeboxen und schneeweiß gekalktem Wohntrakt – eben ein südamerikanisches Bonanza. Oder sind das hier eher die Filmkulissen der „Glorreichen Sieben“?

Blick vom Hotel auf Schneegipfel und Pampagras

Der Überschuss an Assoziationen – man könnte auch sagen: Phantasmen – hat freilich reale Gründe. Nicht ganz zufällig setzt Chiles 105.000 Quadratkilometer große Atacama-Wüste all diese Vorstellungen frei.

„Das ist ein bisschen wie beim berühmten Jerusalem-Syndrom, aber eben ohne die bekannten Kultstätten“, sagt Juan Pablo, während er Sattel um Sattel auf Pferderücken wuchtet. Es sei nämlich logisch erklärbar, dass die Augen – nicht gewöhnt an die geschaute Wucht einer gigantischen Wüstenlandschaft – bestimmte Informationen ans Hirn senden, um anfangs doch noch alles ins bislang Bekannte zu integrieren.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Dem wird auch etwas nachgeholfen, denn „Bonanza“ ist in Wirklichkeit eine Art Edel-Wüstencamp, heißt offiziell „Hotel Explora“ und ist Teil eines Projektes, das auch Dependancen in Patagonien und auf der Osterinsel hat.

Und so werden nicht nur die Augen, sondern auch die Gaumen erst einmal durch Wiedererkennungseffekte verwöhnt – das elementar Fremde kommt noch früh genug. Gleich nach dem Einchecken in den postmodern reduziert ausgestatteten Zimmern der ebenerdigen Trakte – ein jedes mit Blick auf die fernen Schneegipfel und das nahe Pampagras – wird man auf die Terrasse des Haupthauses gebeten.

Dort werden – wiederum mit Andenblick – zuerst einmal kleine Köstlichkeiten serviert: luftgetrockneter Schinken, die chilenische Frischfischspezialität limonenbetupfter Ceviche, sonnengereifte Orangen, ein Glas Sauvignon blanc oder Cabernet aus den Weinbauregionen im Süden des Landes.

Die Atacama ist die trockenste Wüste der Welt

Völlerei soll dies jedoch nicht sein, deshalb werden die Gäste zu Beginn gebeten, weder die hiesige Höhenlage noch das gleißende Licht zu unterschätzen, obwohl frischer Wind für eine angenehme Temperatur sorgt. Außerdem: Die Atacama, mehr als 15 Millionen Jahre alt, ist außerhalb der Polargebiete die trockenste Wüste der Welt.

Ein stündlich aufgefüllter Wasserspender – mal mit frischem Minz,- mal mit Orangen- oder Zitronenaroma – steht im Inneren des Hauses bereit, desgleichen Thermosflaschen für die kommenden Tages- oder Halbtagesausflüge, denn „Explora“ nimmt den Gedanken der „Exploration“ sehr ernst.

Auch deshalb sind im wellenförmig angelegten Haupthaus nicht nur die Rezeption und das Restaurant angesiedelt, sondern auch ineinander übergehende Vorbereitungsräume, in denen die Atacama-Besucher ihre Touren zusammenstellen können – individuell oder in kleinen Gruppen. Zuvor informiert eine Powerpoint-Präsentation über die kontinentweit einmalige Wüste, wo die Erde aufgrund Millionen Jahre alter geologischer Verwerfungen tatsächlich am unirdischsten ist.

Was Vergleiche mit einer „Mondlandschaft“ also durchaus rechtfertigt. Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa erprobt denn auch in der Atacama-Wüste ihre Fahrzeuge und Roboter.

Außerdem stehen hier die 66 mobilen Parabolantennen des internationalen Alma-Projektes. Die Wissenschaftler wollen Wellenlängen des Lichtes von Galaxien außerhalb der Milchstraße auffangen. Diese Anlage kann zwar nicht besichtigt werden, für das berühmte Valle de la Luna (Tal des Mondes) gilt das Besuchsverbot aber freilich nicht.

Per Jeep geht es in die Mondlandschaft des Valle de la Luna

Überhaupt hat die Atacama-Wüste erstaunlich viel zu bieten. Selbst Flamingos gibt es – und viele Pferde, die bei mehrstündigen Ausritten nun tatsächliches „Bonanza-Feeling“ garantieren. Nicht zu vergessen die schmalen Oasen, in denen entlang schilfgesäumter Wasserwege gewandert werden kann.

Das Überraschendste bei all dem ist aber die Ruhe und Freundlichkeit, mit der die mehrsprachigen, in Geologie ebenso wie in Astronomie beschlagenen Guides all diese Touren vorstellen und Anflüge touristischer Hektik schon im Vorfeld sanft neutralisieren.

So ist es nicht nötig, sich sofort für einen der Ausflüge zu entscheiden, es genügt eine Information vor dem Dinner, welche Wüstenattraktionen man am nächsten Tag entdecken möchte.

Dieses unkomplizierte Prozedere klappt nur, weil die aus der Region stammenden und mehrheitlich an Universitäten diplomierten Guides viel psychologisches Einfühlungsvermögen haben: Stellt sich etwa heraus, dass für einen der Ausflüge bereits genügend Gäste angemeldet sind und das Risiko besteht, dass die besuchten Orte dadurch an Atmosphäre verlieren, wird den anderen Besuchern eine Alternative schmackhaft gemacht, die umso süßer ist, als sie mit der Suggestion einhergeht, man entdecke nun etwas vor den anderen Mitreisenden.

Unsere Tour führt via Jeep ins Valle de la Luna und dort zu einer geruhsamen Wanderung unter rotgoldenem Nachmittagslicht. Die riesigen aufgeworfenen Gesteinsspitzen sind über 40.000 Jahre alt und erinnern ein wenig an Toblerone-Ecken.

Ein Bad in den heißen Quellen von Puritama

Im Hintergrund, leicht verschattet durch Wolken, die vom Amazonas herüberziehen, ragt die weiße Spitze des noch immer aktiven Vulkans Lasca auf, dazu die Anden, über 6000 Meter hoch. Dort hatten einst die Inkas ihrem Sonnengott gehuldigt, heute ist dies bereits bolivianisches Staatsgebiet.

Doch was sind schon territoriale Grenzen angesichts der Weltraumstille, die einen hier umfängt! Das einzige Geräusch ist der eigene Atem und ein ewiges Rieseln von Sand, das ebenfalls Demut lehrt. Die Mineralablagerungen an den Canyonwänden glitzern wie veritable Diamanten und erinnern an Ornamente im katalanischen Gaudí-Stil.

Solch terrestrischer Urerfahrung folgt dann am nächsten Vormittag das quasi maritime Pendant: Der Körper gleitet über die vom Wasser sanft abgeschliffenen Steine am Rande der heißen Quellen von Puritama. Und das Schönste: die Steine sind warm.

Was umso angenehmer ist, als der Weg zu den Quellen in dieser begrünten Wüstenschlucht kein leichter war: Über zwei Stunden hatten der Abstieg von der Mondlandschaft und die Passage entlang eines gurgelnden Wasserlaufes gedauert, ehe das dichte, oft messerscharfe Pampagras den Blick auf die Idylle freigab.

Die existenzielle Erfahrung, in einer der trockensten Wüsten der Welt unter samtblauem Himmel plötzlich im Wasser herumzutollen, bekommt sogar noch einen gewissen zivilisatorischen Kick. Denn selbstverständlich erwartet den Badenden beim Ausstieg ein softiger, himmelblauer Frotteemantel und dazu ein kleiner Imbiss aus frischem Ziegenkäse sowie in der Oase gezogenen Tomaten.

Auf dem Rückweg nach San Pedro lässt sich der Jeepfahrer die Informationen entlocken, dass jene Quellen von Puritama bevorzugtes Ziel von Hochzeitsreisenden seien – so manche kämen dann nach ein paar Jahren genau hierher zurück, nunmehr mit ihrem Nachwuchs.

Flamingos bevölkern die Salzseen südlich von San Pedro

Freilich lässt sich die Landschaft auch noch auf ganz andere Weise genießen. Als wir aus dem Valle de la Luna auf die Hacienda zurückkommen, wartet nicht etwa ein schweres Mittagsmahl mit anschließendem Komaschlaf auf uns, sondern ein Bad im Pool. Wobei wir die Wahl zwischen drei länglichen Bassins haben, von denen aus sich ein beeindruckender Blick auf die Natur ergibt.

Unweit der Unterkünfte, doch außerhalb unserer Sichtweite, glauben wir, die üppig behangenen Feigenbäume riechen und das sich im Winde wiegende Pampagras hören zu können. Über 17 Hektar erstreckt sich das Anwesen und ist deshalb auch geografisch alles andere als eine artifizielle Blase.

Was indessen unsere Wildwest-Assoziation mit den „Glorreichen Sieben“ betrifft – sie wird am Nachmittag bei unserem Ausflug zu den von Flamingos bevölkerten Salzseen südlich von San Pedro tatsächlich real. So führt der Weg zuerst einmal durch das 1000-Einwohner-Dörfchen Toconao, dessen 1750 erbautes Kirchlein mit Glockenturm einer Filmkulisse gleicht.

Einst, vor der Christianisierung durch die Spanier, hatten die Einheimischen hier ihrem Wind- und Wassergott gehuldigt. Es ist deshalb nicht ganz eindeutig, ob die an der Decke über dem Altar befestigte Vorrichtung aus Holz und Lamahaut nur das Wasser abhalten soll oder nicht doch einem verborgenen spirituellen Zweck der indigenen Bevölkerung dient.

Kurz hinter dem Ort beginnt bereits die Antofagasta-Region mit der drittgrößten Salzfläche der Welt. Die vermutlich auch die ästhetisch eindrucksvollste Salzfläche ist: Im späten Nachmittagslicht leuchtet sogar der Boden auf, Milliarden illuminierter, wellengleicher Salzkristalle. Ein schmaler, mit Steinen begrenzter Weg führt durch dieses trockene Salzmeer und endet in Sichtweite der Lagunen.

Dort schreiten Flamingos gleich dreier Arten grazil auf und ab und tauchen ihre Filterschnäbel in das vom aufkommenden Abendwind sanft bewegte weißlich-blaue Wasser, um nach Krustentierchen zu fischen. Diese nämlich besitzen den Farbstoff Beta-Karotin, den wiederum die Flamingos benötigen, um ihr Gefieder pinkfarben zu erhalten.

Inzwischen taucht die untergehende Sonne die Bergkette bereits in ein unwirklich anmutendes Orange. Eine Touristin zerstört den zauberhaften Moment mit einer seltsamen Frage: Was geschieht mit Flamingos, die ihr Pink verlieren?

Vermutlich haben die Guides eine Erklärung, doch im Gegenlicht sind die wissbegierigen Wüstenbesucher bereits zu messerscharf gezeichneten Silhouetten geworden, um kurz darauf, in der rasant einsetzenden Dämmerung, ihre Konturen zu verlieren – und damit ihren Anspruch auf Faktenwissen.

Erinnern an die düstere Zeit der Pinochet-Diktatur

Nein, nicht jede Frage bedarf einer Antwort. Zumal die Wüste an das Fragile des menschlichen Daseins erinnert. So tauchen in den Scheinwerferkegeln der Jeeps immer wieder sogenannte animitas am Wegesrand auf – winzige, puppenstubenartige Häuschen, errichtet zum Gedenken an jene, die in dieser kurvenreichen Gegend zu schnell unterwegs waren und nach ihrem Unfalltod eines vorläufigen Heimes für ihre körperlos gewordene Seele bedürfen.

Beim Abendessen dann legen auch die gesprächigsten Gäste zumindest zeitweise eine Redepause ein, was vermutlich am kulinarischen Genuss liegt. Zu einem chilenischen Rotwein werden den Fleischessern, die unter den Gästen eine Mehrheit sind, saftig-blutige Steaks serviert, verfeinert mit chancho en piedra, klein geschnittenen Tomaten in Essig-Koriander-Soße.

Dazu gibt es Pisco Sour. Der Cocktail hat eine angenehme Wirkung; statt massentouristisches Halligalli zu provozieren, schärft er im Gegenteil den Verstand. Dazu passt, dass just an diesem Abend ein aus der Hauptstadt Santiago de Chile angereistes Ehepaar über die dunklen Flecken der Atacama-Wüste spricht, soll heißen, über die Zeiten der Pinochet-Diktatur, als die geschundenen Körper ermordeter Regimegegner in abgelegene Krater geworfen wurden.

Der Dokumentarfilmer Patricio Guzmán hatte vor einiger Zeit dieser kaum bekannten Geschichte den in Cannes preisgekrönten Film „Nostalgie des Lichtes“ gewidmet.

Doch bleibt dies keine politisch korrekte Reminiszenz betuchter Reisender. Es ist Freitagabend, einen kurzen Fußweg entfernt tobt auf der lichterfunkelnden Plaza von San Pedro das Leben, und in den umliegenden Cafés und Bars wird immer wieder die leidvolle Vergangenheit des Landes thematisiert.

Junge aus- und inländische Reisende befragen einheimische Gleichaltrige, was sie von ihren Eltern oder Großeltern über die damaligen Geschehnisse erfahren haben. Nicht zuletzt die Tatsache, dass viele Antworten in perfektem Englisch erfolgen, zeigt, in welch positive Richtung sich das demokratische Chile seit dem Ende der Diktatur entwickelt hat: Das Land ist heute wirtschaftlich prosperierend, politisch stabil und für Reisende sicher. Selbst die Pisco-Sour-Verbrüderungen mit den polyglotten Indigenas enden hier nicht in Suff und Streit, wie anderswo in Lateinamerika, sondern friedlich und entspannt.

Ein weltweit einzigartiger Ort zur Sternenbeobachtung

Am nächsten Tag dann das große Finale: Bonanza trifft Kosmos. Am Abend zuvor hatte Señor Juan Pablo gefragt, ob nicht Interesse an einem morgendlichen Ausritt bestünde. Aber ja doch, war unsere Antwort.

Nun also reiten wir hoch zu Pferde aus dem Hotel-Gestüt erneut durch San Pedros Gassen, alsdann über eine schmale Furt und hinein in ein unbekanntes Wüstenareal. Und dieses erinnert dann tatsächlich an das nordamerikanische Death Valley. Oder sind es nur die im steigenden Sonnenlicht schnell kürzer werdenden Schatten von Pferd und Reiter, die an vor langen Zeiten geschaute Edel-Western gemahnen? Sei’s drum.

Und dann taucht plötzlich – wie eine Filmkulisse – die winzige Kapelle von San Isidoro auf einem Hügel auf, davor stehen Hirten mit ihren Lamas. Nach Indianer- oder Cowboyart müsste man dann irgendwann gen Himmel schauen, um die Zeit für die Rückkehr zu berechnen.

Aber Juan Pablo, den wir scherzhaft Meister aller Schleichwege nennen, braucht dergleichen Hokuspokus freilich nicht. Er führt uns auf neuen, seltsamerweise sogar kürzeren Wegen wieder heimwärts.

Im Hotel erwartet uns das nächste Highlight, ein Besuch im Observatorium. Kaum ein anderer Ort der Welt ist für Sternenbeobachtung so perfekt geeignet wie die Atacama, da hier der Nachthimmel nicht von künstlichem Licht erhellt wird. Und so können wir schließlich das flirrende Kreuz des Südens sowie Saturn und Jupiter sichten.

Klänge es nicht so kitschig, ließe sich beinahe sagen: Weltraum-Unendlichkeit, die sich in menschliche Seelen senkt; vielleicht ja nur für Momente, doch unvergesslich, solange man auf Erden weilt. Doch um es schlichter auszudrücken: Die Atacama ist ein Naturwunder, das keiner lauten Anpreisung bedarf.

Tipps und Informationen

Anreise: Etwa mit Air France via Paris oder mit Iberia via Madrid nach Santiago; dann mit LATAM Airlines nach Calama.

Unterkunft: „Explora Atacama“ bietet ein All-inclusive-Paket mit Ausflügen im Jeep und per Pferd, 3 Nächte im Doppelzimmer ab 1750 Euro pro Person, explora.com. „Hotel Pascual Andino“, zentral gelegen in San Pedro de Atacama, Doppelzimmer mit Frühstück ab 165 Euro, pascualandino.com

Auskunft: chile.travel/de/

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Air France und Explora. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

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