Goldgelb funkelt der Wein im Glas. Vollmundig schmeckt er. Könnte auch aus der Toskana sein. Ist der gute Tropfen aber nicht, sondern gereift an einem warmen Südhang des Botanischen Gartens in Prag, wo durch das Blätterwerk der Reben das Barockschloss Troja schimmert. Der historische Weinberg von St. Klara ist einer der wenigen verbliebenen in der Stadt. Seit ungefähr 60 Jahren wird er wieder kultiviert.

Erfrischend fließt der fruchtig-süffige Cuvée, eine Komposition aus mehreren Rebsorten, die Kehle hinunter. „Wir stellen ihn aus den roten Trauben der Pinot noir her und aus Pinot gris, auch bekannt als Grauburgunder“, sagt Weinberg-Chefin Vladimíra Egertová.

Wein hätte man in der Biernation Tschechien weniger vermutet, aber: „Seit über 1000 Jahren wird bei uns Wein angebaut“, sagt Egertová. „Wenn die Weinlese beginnt, finden überall im Land Feste statt, auch auf St. Klara.“ Den größten Aufschwung erzielte die hiesige Weinwirtschaft vor dem Dreißigjährigen Krieg.

Ende des 19. Jahrhunderts vernichtete dann, wie anderswo in Europa, die Reblaus die tschechischen Weinberge fast gänzlich. Heute gibt es wieder rund 18.000 Hektar Rebflächen in den böhmischen Anbaugebieten Litoměrice (Leitmeritz) und Mělník sowie in Mähren, wo 96 Prozent der tschechischen Reben herkommen. Sie gedeihen in den Regionen um Znojmo (Znaim), Mikulov (Nikolsburg) und Velké Pavlovice (Groß Pawlowitz).

Bislang dominierten Rebsorten wie Müller-Thurgau, Ruländer, Welschriesling, St. Laurent, Spätburgunder oder Blauer Portugieser. Doch die Winzer in den rund 400 Weinorten probieren auch Neuzüchtungen wie Cabernet Franc und Zweigelt.

Eine lokale Spezialität des St. Klara ist beispielsweise der Cuveé Bílé z Botanické, sagt Egertová: „Der St.-Klara-Weinberg entstand im 13. Jahrhundert, im 14. Jahrhundert boomte er unter Karl IV.“ Dieser ordnete an, Reben für Prag und die Königsstädte anzulegen, es war das goldene Zeitalter des Weinanbaus. „Das führte zu einem Überangebot, und der Kaiser verbot die Einfuhr fremder Produkte.“

Weine aus Tschechien zählen heute zur Weltspitze

Bis heute wird der tschechische Weinkonsum zu 45 Prozent aus heimischer Produktion gedeckt. Exportiert wird wenig. „St.-Klara-Produkte kann man nur bei uns im Weinshop kaufen“, sagt Egertová beim Rundgang durch das 200 Jahre alte Gemäuer. „Insgesamt produzieren wir 10.000 Liter pro Jahr.“ Abgefüllt werden sie in hübschen Halbliterflaschen, wie die Weinberg-Chefin zeigt. „Der Weißwein ist nach einem halben Jahr genießbar, unser Rotwein reift ein Jahr im Barrique-Fass.“

War es vor 1989 schwierig, ein gutes Glas zu bekommen, haben sich die Zeiten inzwischen geändert. Produkte aus Tschechien zählen mittlerweile zur Weltspitze. 500 internationale Auszeichnungen gab es allein im Jahr 2015. 25 tschechische Tropfen befanden sich in jenem Jahr unter den weltweit 1000 besten Produkten, die beim internationalen Weinwettbewerb Vinalies Internationales in Paris gekürt wurden und auf die Rangliste „1000 Vins du Monde“ kamen – der Michelin-Maßstab für Weine.

„Unsere Weine hat der Experte John U. Salvi aus Bordeaux bewertet“, erzählt Egertová stolz. „Die Weißen mag er, die Roten findet er nicht kräftig genug.“ Beim Probieren des Rulandské modré (Blauer Ruländer) wird das auch klar. Fehlt am Ende doch die Sonne?

In den Weingegenden Böhmens ist das Klima gemäßigter als in den großen Anbaugebieten Südmährens, wo die Sommer warm sind, die Winter kalt und die Niederschläge gering. Allerdings sind auch die Weinregionen in und um Prag durch den Böhmischen Kessel vom Einfluss des atlantischen Klimas abgeschirmt und trocken genug.

Abends in der Weinbar im Prager Zentrum

Im Moment lässt sich die Sonne auf dem St.-Klara-Berg allerdings nicht blicken. Dicke Regenwolken schieben sich vor sie. Anders am Abend beim Besuch einer Weinbar im Prager Zentrum. Um die 30 Bars gibt es, jedoch nur eine Handvoll gute Adressen.

Das „Veltlin“, das Bioweine aus dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie anbietet, ist eine davon, das „Bokovka“ kurz vor der Moldau eine andere. Im Innenhof eines gotischen Gebäudes versteckt sich das stylische Wohnzimmergewölbe. Seit zwölf Jahren gibt es das „Bokovka“, das von einer kreativen Mannschaft geführt wird.

Maler, Fotografen, Regisseure seien an Bord, erzählt Aleš Najbrt, einer der Betreiber und zugleich ein gefragter Grafiker im Land: „Wein war immer unser Hobby. Zu sechst hatten wir eines Abends bei einer teuren Flasche Wein die Idee, selber einen Weinladen mit Produkten aus Tschechien und ganz Europa zu eröffnen.“

Es wurde Shop und Bar in einem, benannt nach ihrem Lieblingsfilm „Sideways“, was „Bokovka“ auf Tschechisch heißt. Den gleichnamigen Wein, einen Riesling, gibt es natürlich auch. Auf diese Rebsorte schwört Aleš Najbrt. „Mein Favorit ist ein Welschriesling vom Weingut Jaromír Gala aus der Pálava-Gegend im mährischen Anbaugebiet Mikulov.“

Noten von kostbarem Holz, süßer Würze und kandierten Früchten dringen an die Nase, perfekt ausgewogen erfüllt der gehaltvolle Tropfen den Gaumen. Der Ryzlink Vlašský-Hermes 2015 ist mit 96 Punkten der beste unter den 811 empfohlenen Weinen im „Guide to the Best Wines of the Czech Republic“. Mitherausgeber des Weinführers ist der „Bokovka“-Sommelier Roman Novotný, der zuvor im Sternerestaurant „La Degustation Boheme Bourgeoise“ ausschenkte.

Gespritzt wird ein Extrakt aus speziellen Kräutern

Auch drei Empfehlungen vom Vinne Sklepy in Kutná Hora (Kuttenberg), dem Klösterlichen Weinkeller, sind gelistet. Eineinhalb Zugstunden von Prag entfernt liegt diese nächste Station der Reise im böhmischen Anbaugebiet Mělník.

Die Sonne brennt vom Himmel auf dem Weg vom wenig ansehnlichen Provinzbahnhof ins Zentrum des Barockstädtchens, das bei jedem Schritt hübscher wird. In den verwinkelten Gassen tauchen schmucke Bürgerhäuser auf. Über allem thront die Kathedrale der Heiligen Barbara, Schutzheilige der Bergleute. Mit Silbervorkommen wurde Kutná Hora einst reich.

Vor dem historischen Klösterlichen Weinkeller mit der schweren Doppelholztür wartet Lukás Rudolfský. „Zu kommunistischen Zeiten wurde hier kein Wein angebaut. Im Kloster waren die tschechische und russische Armee untergebracht“, sagt er.

Sein Vater Stanislav kaufte 2002 den heruntergekommenen Weinkeller und belebte den Rebanbau in der böhmischen Welterbestadt neu. „2004 übernahm ich und baue nun auf 54 Hektar Wein nach Demeter-Standard an.“ Traminer, Grauen Burgunder, Cabernet Blanc und Riesling wie im Elsass.

Auf 15 Hektar wächst Pinot noir für hochwertigen Biorotwein heran. „Wir mischen an unsere Weine nichts dazu.“ Dafür wird gespritzt – mit einem Extrakt aus speziellen Kräutern. „Vorrangig Schachtelhalm. Das Beste für Reben“, erklärt Rudolfský, der als Einziger im Land dieses Biomittel anbietet.

Viel Zeit für ein Gespräch hat er nicht; im Affenzahn saust er seine Weinberge ab, zupft hier und da ein Blatt, „damit die Trauben mehr Sonne abbekommen“, fährt in die Kräuterdestillerie, wo er auch Kosmetika herstellt. Ach ja, Schafe hat er auch.

Sie grasen seine Biowiesen ab. Lukás Rudolfský hat es geschafft: Sein Cabernet Cortis, eine deutsche Kreuzung aus Cabernet Sauvignon und Solaris, wurde 2015 vom Nationalen Weinzentrum Tschechiens zum Champion gekürt.

Hier reifen Trauben für Riesling, Ruländer und Pálava

In zweieinhalb Stunden kommt man mit dem Zug nach Brünn (Brno), der zweitgrößten Stadt Tschechiens und Zentrum Mährens. Ab hier chauffiert Reiseleiterin Eva Safárová durch die Weinberge. Wer will, kann den Vinobus nutzen; in einem Land, wo absolutes Alkoholverbot für motorisierte Verkehrsteilnehmer gilt, eine sichere Sache.

Es geht hügelauf und hügelab nach Znojmo (Znaim). Links Weinberge, rechts Weinberge. Mittendrin gelbe Teppiche voller Sonnenblumen und pittoreske Dörfer. „Die Znaimer Region war zu kommunistischen Zeiten die Gurkenhochburg. Heute gedeihen hier langsam reifende Trauben für geschmacklich volle, aromatische Weißweine“, erzählt Eva.

Znovín Znojmo ist die größte Weinfirma der Region und war mit ihren Produkten wiederholt bei den Pariser Vinalies Internationales vertreten. Im halb sanierten Kloster Louka am Stadtrand können die Tropfen verköstigt und gekauft werden. Im Naturschutzpark Vinice-Hnanice an der Grenze zu Österreich besitze die Weinfirma eine Rarität, erzählt Eva: „Den alten Weinberg Sobes, der einzige in Tschechien in einem Schutzgebiet.“

Nur Wind, Vogelgezwitscher und das Rauschen der Thaya im Tal sind zu hören. Einige Radfahrer sitzen vor dem Weinausschank auf dem Sobes. Von den umliegenden Bergen geschützt, reifen in dieser Idylle Trauben für Riesling, Ruländer und auch Pálava, eine Kreuzung aus Roter Traminer und Müller-Thurgau.

Sie haben einen geringen Säuregehalt und sind benannt nach der gleichnamigen Region im Weinland Mikulov. Dieses ist bekannt für sein charakteristisches Kalkgebirge – die Pollauer Berge. Es ist das wärmste und trockenste Gebiet Tschechiens.

Der Champion ist ein mährischer Welschriesling

Weit verbreitet ist der aus Norditalien eingeführte Welschriesling. Gefeiert werden die Tropfen jeden Herbst bei der Pollauer Weinlese, einem dreitägigen Fest, bei dem sich die Weingüter für Besucher öffnen – und im Burgkeller das zweitgrößte Weinfass der Welt bestaunt werden kann.

Über 100.000 Liter passen in das Fass aus dem 17. Jahrhundert. Als die Schweden im Dreißigjährigen Krieg nach Mähren kamen, leerten sie es in drei Tagen.

Die Kellerräume im Barockschloss Valtice dagegen werden niemals weinlos sein. Immer im Januar kürt das Nationale Weinzentrum von Tschechien hier die 100 Besten des Landes, die für ein Jahr ausgestellt und verkauft werden, so auch schon der Cabernet Cortis vom Klösterlichen Weinkeller Kutná Hora.

„200 der diesmal 2073 eingereichten Weine gehen ins Finale, 50 Sommeliers testen sie. Es gibt keine Plätze, sondern nur 100 Sieger“, erklärt die junge Dame, die durch den Weinkeller führt. Strahlend reicht sie ein Glas: „Der diesjährige Champion, es ist ein mährischer Welschriesling. Ihn kann man erst nach einem Jahr kaufen, alle anderen 99 Gewinnerweine hingegen schon jetzt.“

Der Welschriesling besticht durch Noten von Honig, Grapefruit und Walnuss“, sagt Petr Ptácek, Direktor des Weinguts Nové vinarství (Mikulov), von dem der Champion 2018 kommt. Die höchste Anzahl an Weinbauern in Tschechien befindet sich im Anbaugebiet Velké Pavlovice, dem Zentrum für mährische Rotweine.

Die schweren Lehmböden mit einem hohen Magnesiumanteil sind für die Rebsorten ideal. Radek Zálesák, einer von knapp 20 Winzern, die in Vrbice (Wrbitz) leben, führt seine Besucher durch die Kellergassen unterhalb der Dorfkirche.

Auch die tschechischen Rotweine überzeugen

Wie aus der Zeit gefallen wirken die Hobbit-Häuschen der Presshäuser. Ihre Steinfronten sind unverputzt, mit gotischen Spitzbögen verziert. Auf den Dächern wuchert das Gras.

Gegen Mitte des letzten Jahrhunderts wurden die Presshäuser zu den unterirdischen Gängen gebaut, wo bis heute der Wein reift, erklärt Zálesák: „Die Keller selbst sind in Felsen gehauen. Die ältesten stammen aus dem 17. Jahrhundert und viele werden saniert.“

Zwölf Traubensorten keltert Radek Zálesák. Er produzierte bereits während des Kommunismus seinen eigenen Wein. Er hatte das Glück, in einem landwirtschaftlichen Staatsbetrieb zu arbeiten: „Und nur dann bekam man etwa 1000 Quadratmeter Weinberg zum Privatgebrauch.“ Heute verkauft Radek Zálesák den Großteil seines gekelterten Weines, etwa 7000 Liter, und lädt Touristen nach Voranmeldung zur Verkostung ein.

Vom neuen St. Laurent saugt der Weinbauer etwas aus einem Fass ab. Nach Aprikosen schmeckt der Rote und nach Zwetschgen, gleichzeitig aber auch unreif. „Er braucht noch eineinhalb Monate“, gesteht Zálesák. Da ist der Cabernet Moravia vom letzten Jahr schon besser. Noten von schwarzer Johannisbeere umschmeicheln die Zunge. Vollmundig und ausdrucksstark ist er, gleichzeitig weich und zugänglich.

Von wegen, die tschechischen Rotweine wären nicht gut! Auch in einem Bierland wie Tschechien kann man sich in Sachen Wein überraschen lassen.

Tipps und Informationen

Anreise: Mit dem Auto oder der Bahn nach Prag, Kutná Hora (Kuttenberg) und Brünn. Tipp: In der Weinregion Znojmo (Znaim) verbindet der Vinobus (vinobus.cz/de) die verschiedenen Weingüter.

Unterkunft: „Hotel Adria“ im Zentrum von Prag, nostalgischer Charme, vier Sterne, Doppelzimmer mit Frühstück ab 160 Euro (adria-hotel.cz/de); „Best Western Premier Hotel“ in Brünn, Doppelzimmer mit Frühstück ab 132 Euro, (bestwestern.de).

Auskunft: czechtourism.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Czech Tourism. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

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